Hass ist ein schlechter Begleiter

Edith Erbrich spricht über ihre Kindheit in Frankfurt am Main und im KZ Theresienstadt
Johannes-Kepler-Schule
Edith Erbrich (Mitte) mit Geschichtslehrer Holger Wehrle (hinten links) und Schülerinnen und Schülern des WPU-Kurses Geschichte

Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust ist und bleibt Verpflichtung an unseren Schulen. Wenn eine Zeitzeugin, die das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hat, vor Schülerinnen und Schülern spricht, ist das Chance und Herausforderung zugleich.

Edith Erbrich, 1937 als Edith Bär in Frankfurt geboren, sprach an zwei Tagen vor und mit Neunt- und Zehntklässlern über ihre Erinnerungen. Zusammen mit ihrer älteren Schwester und ihrem jüdischen Vater wurde sie am 14. Februar 1945 mit dem letzten großen Transport, der vom Frankfurter Osthafen abging, nach Theresienstadt gebracht. Ihre katholische Mutter musste in Frankfurt zurückbleiben. Ihr jüdischer Vater, darauf legt sie beim Erzählen wert, sei genauso deutsch gewesen wie die katholische Mutter. Ihre jüdischen Großeltern, die ebenfalls in Frankfurt lebten, hatten die Stadt bereits 1942 verlassen müssen.

Erbrich schildert nicht nur den grausamen, durch Hunger, Demütigungen und Tod geprägten Alltag im KZ. Sie erzählt auch von der Zeit davor, ihrer Kindheit in Frankfurt, wo antisemitische Schikane zum Alltag gehörte. Wenn Erbrich vom „großen J“ spricht, das auch sie als kleines Mädchen eine Handbreit unter der linken Schulter tragen musste, geht das unter die Haut. Ihre Zuhörer in der Aula sind ganz still. Sie erzählt gefasst und mit klarer Stimme ihre Geschichte, doch man spürt deutlich, dass die Erinnerungen in ihr wieder aufleben. Die Befreiung des Konzentrationslagers in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai durch die russische Armee bezeichnet sie als glücklichsten Moment in ihrem Leben. Endlich durfte sie auf der Pritsche neben ihrem Vater liegen, der in einer anderen Baracke untergebracht worden war.

Edith Erbrich ist eine geeignete Zeitzeugin. Sie versucht nicht, ihre junge Zuhörerschaft von einer politischen Idee oder Gesinnung zu überzeugen. Zu erzählen „wie das damals war“ sei ihr wichtig. Das sei sie auch den Menschen schuldig, die umgebracht wurden. Sie ist frei von Hass und Bitterkeit. Der Titel ihrer im Jahr 2014 erschienen Lebensgeschichte „Ich hab` das Lachen nicht verlernt“ könnte passender nicht sein. Aber vergessen und vergeben, das kann die sympathische und lebendige, heute Einundachtzigjährige, nicht. Dazu waren die Demütigungen und Entbehrungen, die sie und ihre Angehörigen erleiden mussten, zu groß.

Erbrich hat erst im Alter von 60 Jahren angefangen, von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Heute sagt sie vor Schulklassen: „Ihr dürft mich alles fragen“. Und die Neuhöfer Schülerinnen und Schüler, die sich vorher im Unterricht sorgfältig in den historischen Kontext eingearbeitet haben, stellen viele Fragen, über die kein Geschichtsbuch Auskunft geben kann. Auf die Frage, warum sie nach dem Krieg nicht wie viele andere auch ausgewandert sei, antwortet sie in ihrem charmanten südhessischen Dialekt: „Das hätte nichts an meinem Schicksal geändert. Das hier ist meine Heimat. Hier fühle ich mich wohl.“

Geschichts- und Deutschlehrer Holger Wehrle war Edith Erbrich im vergangenen Jahr bei einer Fortbildung der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung in Wiesbaden begegnet. Von ihm und den Schülern seines WPU-Kurses „Spurensuche Nationalsozialismus“ kam die Idee, eine Person einzuladen, die über die Gräuel des Nationalsozialismus aus eigener Anschauung berichten kann.

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